Die Vorteile, wenn du einen Partner anstelle eines Lieferanten beschaffst

 

Traditionellerweise würde man eine öffentlich-rechtliche Verwaltung nicht sofort mit Agilität in Verbindung bringen. Bei Verwaltungen denkt man eher an langwierige Abläufe und interne Abklärungen. 

 

Diese Charakteristiken finden sich entsprechend auch oftmals in den Beschaffungsprozessen der Verwaltungen wieder. Der Ansatz „Wir haben dies schon immer so gemacht“ und das Gefühl, dass nur die herkömmlichen Prozesse mit den strengen öffentlich-rechtlichen WTO-Vorschriften einhergehen, hemmen die Experimentierfreudigkeit mit neuen Ansätzen bei der Beschaffung.

 

Doch dieses Bild beginnt zu bröckeln. Für diesen Blog haben wir uns mit Philippe Jann, Programmleiter a.i. des Programms „Joining Forces (JF)", unterhalten. Wir geben dir einen Einblick in die WTO-Beschaffung des Projektes JF02 dieses Programmes, das einen Umfang von mehreren Millionen Franken hat, und  unter Verwendung von Elementen des agile.agreements agil umgesetzt wird. 

 

 

Das Programm Joining Forces (JF) will die gesamtheitliche Zusammenarbeit im Strafverfahren auf Bundesebene verbessern. Dies soll mittels Überführung ins digitale Zeitalter und der digitalen Akte geschehen.

 

Mit dem Programm Joining Forces werden die Abläufe im Strafverfahren klarer und einheitlicher gestaltet und eine digitale Übermittlung der Akten zwischen den Institutionen ermöglicht– eine Arbeitserleichterung für alle. 

 

Lieber Philippe, wie kam es dazu, dass für das Projekt JF02 ein agiles Vorgehen gewählt wurde?

 

Der Entscheid, eine agile Vorgehensweise zu wählen, war ein Prozess. Für dieses Projekt wurde das Projektteam durch externe Beschaffungsexperten erweitert. Zu Beginn erhoben wir die Anforderungen, was unser gesuchtes Produkt alles können muss, welche Schnittstellen und Prozesse abgedeckt und welche Sicherheitsanforderungen erfüllt werden müssen. Nach einer Marktanalyse war das Fazit klar: Wir haben hier eine komplexe Herausforderung – eine Herausforderung, welche so in dieser Form durch kein bestehendes Produkt auf dem Markt gelöst wurde. Deshalb konnten wir auch nicht auf eine bestehende Lösung zurückgreifen und nur kleinere Anpassungen vornehmen. Diese Ausgangslage verlangte förmlich nach einem agilen Vorgehen.

 

Wir reflektierten unsere Kompetenzen und Kapazitäten und stellten fest, dass wir über viel eigenes vorhandenes Wissen verfügen, es aber auch viel Wissen gibt, welches wir nicht in unseren Reihen haben. Wir mussten uns also den passenden Technologie-Partner suchen, mit dem wir gemeinsam diese Lösung entwickeln.

 

 

Wie seid ihr vorgegangen, damit ihr den passenden Partner finden konntet?

 

Wir entschieden uns, den wettbewerblichen Dialog im Rahmen eines selektiven Verfahrens zu nutzen. In mehreren Dialogrunden wollten wir die verschiedenen Lieferanten kennen lernen, erleben und auch sehen, wie sie arbeiten. All diese Erfahrungen halfen uns, den passenden Partner zu finden. Natürlich spielten auch deren Kompetenzen und Erfahrungen eine wichtige Rolle. Im Vergleich zu herkömmlichen Beschaffungen war der Preis weniger gewichtet. Dadurch stellten wir sicher, dass ein Anbieter, der sehr gut arbeitet, nicht durch einen leicht höheren Preis benachteiligt wird. Ausserdem signalisierten wir dadurch gegenüber den Anbietern, dass wir es ernst meinen mit der partnerschaftlichen Zusammenarbeit und nicht nur von der Wichtigkeit der Partnerschaft als Floskel sprechen.

 

 

Und wie stellt man sicher, dass ein solches Vorgehen mit den WTO-Bestimmungen einhergeht?

 

Das ist eine gute Frage, die eigentlich einfach zu beantworten ist. Man muss sicherstellen, dass alle Lieferanten die gleichen Informationen erhalten, dass alle nach den gleichen Massstäben beurteilt werden und die gleichen Aufgabestellungen lösen müssen. 

 

 

Wäre es möglich, das gleiche Produkt mit einem normalen Lieferanten-Vertrag zu erhalten?

 

Das wäre theoretisch möglich, allerdings zeigen die Erfahrungen bis jetzt, dass wir noch nie eine so transparente und zielstrebige Zusammenarbeit erlebt haben. Beide Seiten sind sich des agilen Vorgehens bewusst und sind bemüht, so zu handeln, dass es funktioniert.

 

 

Was bedeutet dies konkret? Wie seid ihr nach dem Zuschlag vorgegangen?

 

Ein wichtiger Punkt war, dass wir uns zu Beginn des Projektes bewusst Zeit genommen haben, um einen Codex für die Zusammenarbeit zu entwickeln. Wir definierten die Werte, die wir im Projekt leben wollen und was diese konkret bedeuten. Ein Beispiel ist die direkte, relevante Kommunikation. Danach machten wir uns bewusst, was das Ziel dieser Zusammenarbeit ist, was beide Parteien beitragen können und sollen. All dies führte dazu, dass wir uns nicht als Auftraggeber und Lieferant verstehen, sondern als ein Team, welches zusammen erfolgreich sein möchte. Alle beteiligten Personen wissen, was sie voneinander erwarten können und falls etwas nicht wie versprochen umgesetzt wird, kann man es auch ohne schlechtes Gewissen einfordern.

 

 

Es macht den Anschein, dass die Kommunikation eine zentrale Rolle einnimmt?

 
Absolut! Und sie ist umso wichtiger, je grösser das Projekt ist. Wir nutzen drei Gefässe der Kommunikation:

  • Wöchentliche Sitzungen in der Projektleitung, um fachliche und kritische Themen zu besprechen. Dabei ist im Voraus bekannt, welche Themen besprochen werden und wo die Prioritäten liegen. So steigern wir die Produktivität und verlieren uns nicht in unwichtigen Diskussionen.
  • Bei jedem Sprintwechsel kommen alle Leute des Projekts mindestens virtuell zusammen. So ist jeder auf dem aktuellen Stand der Dinge, kann Erfahrungen einbringen und fühlt sich abgeholt.
  • Laufend aufkommende Themen klären wir mittels Ad-hoc Besprechungen, die so direkt wie möglich erfolgen – ohne lange E-Mails oder Vereinbarung von Meetings.

 

Zur abschliessenden Frage: Was sind deine persönlichen Learnings bis heute?

 

Es ist bei einem solchen Vorgehen unabdingbar, gegenseitiges Vertrauen aufzubauen. Ein wichtiger Punkt dafür ist die Transparenz. Das bedeutet beispielsweise, dass wir offen mit Schwierigkeiten oder auch dem Budget umgehen. Der Technologiepartner legt offen, wie sie zu einer Kostenschätzung für ein zu entwickelndes Feature gelangen und wir diskutieren offen, ob diese so realistisch und angemessen ist. Diese Offenheit braucht etwas Mut. Dafür erfährt man bei dieser Art der partnerschaftlichen Zusammenarbeit eine unglaubliche Genugtuung, die sich schlussendlich auch in den Resultaten widerspiegelt.

 

 

 

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