Wie man eine öffentlich-rechtliche Beschaffung agil ausrichtet - Erfahrungen aus der Praxis

In diesem Blog möchten wir dir zeigen, wie eine Beschaffung mit dem agile.agreement ablaufen kann. Dafür haben wir mit Željko Blazinić, dem Leiter Fachbereich Informatik des Umwelt- und Gesundheitsschutzes der Stadt Zürich gesprochen.

 

 

Lieber Željko. Was ist dein erster Gedanke, wenn du an die Ausschreibung mit dem agile.agreement denkst?

 

Für mich war das ein spannender Prozess. Den Anbieter bereits vor dem Zuschlag kennen lernen zu können, erachte ich als sehr wertvoll. Besonders wenn man eine Beschaffung für ein agiles Projekt durchführen möchte, bei der man zu Beginn noch gar nicht weiss, wie das Endprodukt aussehen wird. In diesem Fall ist es wichtig, einen Beschaffungsprozess zu wählen, der das agile Vorgehen erlaubt und unterstützt.

 

 

Was ist der Hauptunterschied einer Beschaffung mit agile.agreement zu einer «herkömmlichen Beschaffung»?

Der Fokus auf einen passenden Partner! Dies beginnt bereits bei den Ausschreibungsunterlagen. Dabei wird der Fokus auf qualitative Kriterien, wie zum Beispiel Fähigkeiten, im Umgang mit Problemen oder Verhalten als Teil eines Teams gelegt. In den Assessments beurteilen wir die Fähigkeiten indem wir sie erleben. Das Vorgehen ist eigentlich gleich wie bei einer Bewerbung. Wir lernen das Gegenüber durch Interaktion besser kennen. Zudem ist der Preis weniger relevant und wird mit 20-30% gewichtet. Ausserdem wird kein Gesamtpreis bewertet – was ja unmöglich ist, wenn man die Problemlösung im Voraus noch nicht kennt – sondern abschätzbare kleinere Leistungsgegenstände wie bspw. Referenz User Stories und/oder MVP. Ausserdem wird im ganzen Prozess immer wieder aktiv Zeit und Raum für Dialoge eingeplant.

 

 

«In den Assessments beurteilen wir die Fähigkeiten indem wir sie erleben.»

 

 

 

Wie sah das Vorgehen im Rahmen eurer Ausschreibung konkret aus?

Wir wählten für diese Projekt ein selektives Verfahren mit zwei Dialogrunden[1]. Der ganze Prozess startete mit einem Frageforum. Die interessierten Anbieter erhielten die Ausschreibungsunterlagen bereits im Voraus. Beim Frageforum wurden dann generelle Fragen zu den Ausschreibungsunterlagen geklärt und der Sachverhalt genauer erläutert. Dabei verwendeten wir kein Pflichtenheft, sondern projektumschreibende User Stories. Mit den interessierten Anbietern gingen wir dann in die erste Dialogrunde. Dort prüften wir die Eignungskriterien. Die Anbieter konnten uns basierend auf den gegebenen Informationen erklären, wie sie vorgehen würden, wie sie sich eine Zusammenarbeit vorstellen und wie ihre Vision für dieses Projekt aussieht. Ich war überrascht, dass wir die Lieferanten ziemlich gut kennen lernen konnten, obwohl wir aufgrund der Covid-Situation alles online gestalten mussten. Basierend auf diesen Assessments nahm die Evaluationsgruppe eine Vorselektion vor. Die nicht berücksichtigten Anbieter erhielten ein Feedback von uns.

 

In der Zuschlagskriterien-Runde, die zuerst mit einer Fragerunde eröffnet wurde, arbeiteten wir mit jedem selektionierten Anbieter individuell an verschiedenen, ausgewählten User-Stories. Dabei war vor allem die Art und Weise der Zusammenarbeit wichtig. Die Zusammenarbeit im Team: - Wie gehen sie vor? Verstehen sich die Teammitglieder untereinander? Handelt es sich um ein Team, bei dem alle mitarbeiten und mitdenken? Wie kommunizieren sie untereinander?  - und noch wichtiger die Zusammenarbeit mit uns: Wie binden sie uns als Kunden mit ein, damit am Ende auch das richtige Resultat rauskommt? Hat der Lieferant die sprachlichen Fähigkeiten, unsere Bedürfnisse abzuholen und Fragen so zu formulieren, dass wir die benötigten Antworten liefern können?

 

Aufgrund von solchen Kriterien und natürlich am Ende auch unter Berücksichtigung des Lösungsvorschlags und Preises, konnten wir dann den Zuschlag vergeben. Auch hier erhielten die anderen Anbieter ein Feedback. Besonders diese Feedbackkultur, die bereits von Beginn der Beschaffung an gelebt und eingeplant wird, finde ich sehr gut.

[1] Hiermit ist der Dialog im wörtlichen Sinn gemeint, nicht der wettbewerbliche Dialog

 

 

«Hat der Lieferant die sprachlichen Fähigkeiten, unsere Bedürfnisse abzuholen und Fragen so zu formulieren, dass wir die benötigten Antworten liefern können?»

 

 

 

Gab es für dich ein Highlight-Moment in der Beschaffung?

Da würde ich die Assessments nennen. Es erinnerte mich an eine frühere Ausbildung für Führungspersonal, wo wir in einem Rollenspiel eine Zusammenarbeit simulierten. Die Assessments mit den Anbietern waren sehr spannend. Man konnte die verschiedenen Arbeitskulturen erleben und sich fragen, ob diese zu uns passen würden. Eine Interaktion bereits vor Projektbeginn mit dem möglichen Anbieter zu haben, hilft beiden Seiten, bereits früh eine gemeinsame Vertrauensbasis aufzubauen – und diese erachte ich, besonders mit einem agilen Vorgehen, als extrem wichtig.

 

 

Wie ist es, wenn der Preis in einer Beschaffung einen kleineren Stellenwert einnimmt?

Der Preis spielt immer eine Rolle und das ist auch gut so, denn eine Beschaffung muss auch die ökonomischen Aspekte berücksichtigen. Allerdings darf der Preis nicht zum dominierenden Zuschlagskriterium werden. Eine eindimensionale Bewertung eines Gesamtpreises ist ebenfalls nicht zielführend, besonders bei einem Projekt wo das Endprodukt im Voraus nicht beschreibbar ist. Durch die tiefere Gewichtung des Preises wird aktiv gezeigt, dass die Zusammenarbeit und andere Faktoren wichtiger sind. Dieses Vorgehen bedeutet folglich nicht, dass ich bereit bin, jeden Preis zu bezahlen. Ich bezahle aber gerne etwas mehr, wenn ich dafür einen guten Service und einen Partner erhalte, mit dem ich gerne und gut zusammenarbeiten kann.

 

 

 

Das Interview wurde kurz nach Beginn der Umsetzungsphase gemacht. Wenn du mehr solche Einblicke oder allfällige Fortsetzungen lesen möchtest, dann folge uns auf LinkedIn oder abonniere unseren Newsletter um auf dem aktuellsten Stand zu bleiben.

 

 

 

Quellen Bilder:

  • Logo Stadt Zürich: https://en.m.wikipedia.org/wiki/File:Logo_Stadt_Zürich.svg
  • Foto Zürich: https://www.stadt-zuerich.ch/energie/de/index/energiepolitik/energiestadt-zuerich.html

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Claude Waeber (Dienstag, 04 Oktober 2022 12:35)

    Danke für die spannenden, wertvollen Einblick! Gerne nehme ich dieses Interview als "Promotion", dass es EBEN DOCH funktionieren kann.

    Herzlichen Dank für's Teilen!